Sonntag, 29. Mai 2011

Plastik isoliert

Die Rille der Platte, die ich den ganzen Tag über hörte bewegt sich auf Augenhöhe und stoppt langsam. Der Arm mit der Nadel senkt sich behutsam in die dafür vorgesehene Halterung zurück. Ich mag den LCD-Schirm nicht mehr sehen und Worte wollen meine Finger nicht mehr verlassen. Ich schnappe meinen Schlüssel und laufe an den Briefkasten- und Klingelschildern vorbei. Nur wenige Gesichter auf der Straße, dafür matt-glänzende Farbklekse am Straßenrand. Früher hatte ich manchmal Lust mit einem Baseballschläger die Klekse zu Brei zu vermischen. Eine Werbung mahnt Körperkontakt, nur mit Gummihaut zu erleben. Für jemanden, der sich nach Nähe sehnt und diese bei Erhalt oder Verzicht teilweise nur ambivalent kompensieren kann, wirkt das paradox. Wortgefüge strömen ohne Pause zwischen meine Ohren und ich bereue es kein Notizbuch eingesteckt zu haben. Ich zücke meine Plastik-Geldkarte um etwas Geld abzuheben und kurz darauf einen Teil davon gegen eine Kinokarte umzutauschen. Diese ist aus Papier und kann abgerissen werden. Währenddessen lese ich den in schwarzen Buchstaben auf weißen Papier von einer Hülle umschlossenen Namen der Verkäuferin. Bereits auf den Stufen in den Vorführraum habe ich diesen wieder vergessen. Der Saal ist leer, die Sitze sind erfreulicherweise bequeme Sessel und keine Schälchen wie in modernen Fussballstadien. Ich trinke einen großen Schluck Cola mit meinem Trinkhalm samt Plastedeckel in einem Pappbecher und tunke Nachos in die mit Käse überlaufende Schale. Kaum hat der Film begonnen, beschließt mein Handy-Display seinen Schlummer aufzugeben und den lange ersehnten Anruf anzuzeigen. Ich zögere kurz, ob ich den Saal verlassen soll, was ich nicht tue und später auf dem Nach-Hause-Weg bereuen werde. Als der Name der Stadt in der ich lebe ertönt, frage ich mich, ob ich halluziniere. Kurz bilde ich mir ein, das Zentrum gigantischer Anstrengungen von tausenden von Männern und Frauen zu sein, die täglich Millionen dafür verschwenden, ohne je zu einem Ziel zu gelangen. Jedes Atom bewegt, was es bewegt, weil es mich verfolgt. Meine Paranoia, die mir suggierieren möchte, dass das Universum sich um mich dreht, beschämt mich. Da das Kino bis auf drei weitere Personen fast leer war, erlebe ich den Heimweg wie eine verdunkelte seitenverkehrte Kopie - es fühlt sich auch wärmer an. Zu Hause starre ich auf die gelbe Kerze, die zwischen Telefon und einer eingeschweißten Zeitung verharrt, und weiß: Ich habe Dein Herz verfehlt.