Samstag, 7. Mai 2011

Die Stadt der träumenden Bücher

"Bücher. Bücher, Bücher, Bücher. Alte Bücher, neue Bücher, teure Bücher, billige Bücher, Bücher in Schaufenstern, Regalen, Karren, Säcken, wahllos auf einen Haufen geworfen oder penibel hinter Glas aufgereiht. Zu waghalsigen Türmen gestapelt, auf den Trottoir ausgelegt, zu Paketen verschnürt (Versuchen Sie Ihr Glück - Kaufen Sie unser Überraschungspaket!), auf Marmorsäulen präsentiert, in dunklen Holzschränken hinter Gitter gesperrt (Nicht anfassen - Signierte Erstausgaben!). Bücher in Leder und Leinen, in Fell oder Seide gebunden, mit Beschlägen aus Kupfer und Eisen, Silber und Gold. In einigen Schaufenstern lagen welche, die über und über mit Diamanten besetzt waren.
Es gab Abenteuerromane  mit beigelegten Schweißtüchlein. Schauerromane mit gepreßten Baldrianblättern darin, an denen man zur Beruhigung schnüffeln konnte, wenn einen die Spannung zu überwältigen drohte. Bücher mit schweren Schlössern, von der Nattifftoffischen Zensurbehörde versiegelt (Kaufen erlaubt, Lesen verboten!). Ein Laden führte ausschließlich "halbe" Werke, lauter handschriftliche Manuskripte, die mittendrin abbrachen, weil ihre Autoren beim Verfassen gestorben waren. Einer hatte nur Manuskripte von Linkshändern im Sortiment, die in Spiegelschrift schrieben. Ein anderer führte vorwiegend Romane, deren Protagonisten Insekten waren. Ich sah ein Antiquariat, das nur von Zwergen mit blonden Bärten frequentiert wurde, die alle Augenklappen trugen. Ein Wolpertingerantiquariat, in dem es nur Schachbücher gab." Walter Moers