Freitag, 9. Oktober 2015

1990

"Gegen zwölf saßen wir oben auf den Felsenklippen und schauten ins Tal. Alles war so grün und schön und saftig wie gestern auch. Die Natur machte sich nichts aus Epochenbrüchen, Systemwechseln, Weltveränderungen. Ich fand das irgendwie tröstlich. Z. fand Natur an sich zum Kotzen.
Alles abholzen! Betonieren! Grün streichen!, rief er in das Elbtal hinein. Dann könne er da Skatboard fahren. Seine Unterlippe. Ein Extrembeben.
Es würde betoniert werden, mehr als Z. sich vorzustellen wagte, es würde Beton in unser Land gegossen werden bis jede alte Hitlerautobahn wieder als strahlend weißes Band in der Landschaft lag. Es würden Häuser in unsere Städte gebaut werden, die hässlicher, engherziger, dümmer aussehen würden als alles, was je gebaut worden war, aber die Älteren würden es schätzen, weil es neu war und sauber. Unsere Schmuddelecken würden verschwinden, Feldwege würden, wie im Westen, asphaltiert sein, und die alten, grauen Häuser würden mit Farbe zugeschmiert werden wie die Mädchen an der Straße jenseits der Grenze. Wir konnten das ahnen, wir hatten den Westen gesehen, besuchsweise, und es machte uns jetzt schon krank, dass wir auch noch Danke sagen sollten dafür."
Peter Richter