Montag, 22. Juni 2009

Neue Vahr Süd

"'Scheiße', rief Frank und lief, ohne lang zu überlegen, hinterher seinen eigenen Stahlhelm vom Kopf reißend und in der Faust schwingend. Neben sich sah er Baumann dasselbe tun, und hinter ihm erhob sich ein Gebrüll, und als er in den Haufen Leute hineinstürzte und mit seinem Stahlhelm in der Hand auf den Motorradhelm eines Mannes haute, der wiederum den mittlerweile am Boden liegenden Ludwig mit schweren Stiefeln in die Seite trat, kam von hinten der Rest der Kameraden und warf sich obendrauf. Es ergab sich ein allgemeines, großes Handgemenge und Gewühle, Frank wurde umgerissen, und andere Leute fielen über ihn drüber, Freund und Feind gleichermaßen, es war jetzt nur noch ein großes, unentwirrbares Knäuel von Leibern und Gliedmaßen, und während er dort ganz unten lag und sich gar nicht mehr rühren konnte, schoß es Frank kurz durch den Kopf, daß ihn das an die Zeit erinnerte, als sie sich bei Hochzeiten in der Kirche in der Adam-Stegerwald-Straße als Kinder immer um die ihnen zugeworfenen Bonbons gebalgt hatten, und er fragte sich eine friedlichen Wimpernschlag lang, ob dieser Brauch, Bonbons unter die fremden, zuschauenden Kinder am Wendeplatz der Adam-Stegerwald-Straße zu werfen, wohl immer noch gepflegt wurde, er nahm sich sogar vor, seine Mutter bei Gelgenheit mal zu fragen, vielleicht wußte sie Näheres darüber, bis ihm klar wurde, daß das in seiner augenblicklichen Lage ein ziemlich abwegiger Gedanke war, aber andererseits, dachte er, was soll man denn machen, wenn man ganz unten liegt und sich sowieso nicht bewegen kann?" Sven Regener